Seit ein paar Tagen diskutiere ich mit Freunden über die seltsame Optik von KI Bildern vor allem auf LinkedIn, denn: Sie gruseln mich! Sie haben eine seltsam bizarre, hyperrealistische Plastikoptik: Alles glänzt, die Menschen sind alle schön und schlank und gesund, ein paar mit Migrationshintergrund, aber auch die sind an die Plastikwelt angepasst und geglättet: Brave New World! Gottfried Helnwein wirkt dagegen wie ein Fauvist.
Die Kybernetikerin und Komplexitätsforscherin Gitta Peyn bezeichnet diese Bilder inzwischen als Faschokitsch: „Weichzeichnung, Gleichschaltung, Sexualisierung, Monotonisierung, Entfremdung, Verkindlichung sind schon bei uns Menschen Anzeichen (Charles Sanders Peirce) von Konditionierung auf Komplexitätsstufe 0: eindimensional, niedrig differenziert, gut für Entspannung und gerichtet im Katastrophenfall, problematisch bei allem, das mehr Komplexität zu berücksichtigen verlangt.“
Ich zucke erschrocken zusammen: Ja! Was ist das bitte für eine absurde Entwicklung, die wir hier bereits in Ansätzen erkennen können?
Auf der anderen Seite war ich am Wochenende in Düsseldorf beim Rundgang der Kunstakademie. Viele Abschlussarbeiten von sehr guter Qualität, aber es stellte sich mir die Frage nach der Avantgarde. Ich habe Kunstgeschichte studiert, male selber (siehe unten) und ja, Expressionismus, neue Sachlichkeit, Fauvismus, DADA – all‘ das treibt mich seit jeher an! Also diskutierte ich am Wochenende viel über die Bedeutung von Avantgarde.
Avantgarde sei immer elitär, sagte ein Freund, provokativ, intellektuell, meist sogar bürgerlich und unverstanden. Das müsse so sein, das seien ja gerade die Merkmale der Avantgarde. Avantgarde, das seien auch immer Mehrere, siehe Blauer Reiter, junges Rheinland, ZERO und so weiter. Aber kein Kollektiv!
Avantgarde sei auch unter Umständen autoritär, las ich, und passe deshalb nicht mehr in die heutige Zeit des Pluralismus und von Diversität. Ja, auch das verstehe ich – zumindest in Ansätzen.
Trotzdem stellte sich mir die Frage: Was passiert eigentlich mit einer Gesellschaft, die nicht mehr in der Lage ist, Avantgarde aus sich selber heraus zu produzieren? Die keine Avantgarde mehr hat? Oder gar duldet? Die Avantgarde sogar ablehnt, z.B. weil sie inzwischen zutiefst verstört, verunsichert und intellektuellenfeindlich ist, zudem nicht mehr bereit, sich mit komplexen Themen auseinanderzusetzen, weil der Zeitgeist verlangt: Einfach muss es sein! Schnell zu verstehen. Rasch konsumierbar.
Wohin führt eine solche Entwicklung? Nachdenklich macht mich das oben genannte Beispiel der KI: „KI-generierte Bilder sind Resultat von Millionen unserer Daten, die der KI Rahmen liefern, was wir Menschen erwarten zu sehen, wenn wir an „Frauen“ denken. Oder an Diversität. Oder an Zukunft. Oder an Krieg… Die Resultate kommen als Faschokitsch und sagen uns viel darüber, wie wir uns in der Masse reflektieren. (…) Und so kommen diese Bilder als Spiegel daher, denn da hält sich die Masse nun einmal auf: auf Komplexitätsstufe 0″.
Was ist also das Problem der von mir kritisierten KI? (Freilich ist mir bewusst, dass es auch qualitativ hochwertige KI-Kunst gibt, wie z.B. von Refik Anadol (ich persönlich finde auch das ein bisschen kitschig, aber nun gut.) Das Problem in diesem Fall ist die Wiedereinführung des Systems in das System: Wenn dieser Prozess „ohne weitere Binnendifferenzierung geschieht – und das ist bei dieser Art von KI der Fall – verliert damit das System nach und nach an Komplexität und an der Fähigkeit, Neues zu entscheiden. Das nimmt immer weiter ab, bis gar nichts mehr entschieden werden kann. Systeme, in denen das passiert, haben wir in der Vergangenheit öfter erlebt. Sie sind immer untergegangen, aber, und das ist das Schlimme daran: Viele von ihnen reißen in ihrem Untergehen eine Menge mit sich mit.
Daher benötigt jede Gesellschaft NEUE Konflikte mit NEUEN Konfliktlinien, und daher ist eine wie auch immer beschaffene Avantgarde relevant. Sie muss herausfordern, und das muss gespürt werden.“
Und deshalb ist Avantgarde kein nice to have, sondern mehr denn je eine gesellschaftlich erstrebenswerte Notwendigkeit.
Link zum Beitrag von Gitta Peyn:
https://lnkd.in/em9En4iG