Berliner Kunstzirkus

Gedichte

(Regieanweisung Art Week)
Megalomanische Hallen,
Entgrenzung is the “Key”,
Episch muss das knallen!
Think Big, XXL-Gigantomanie.

(Volksbühne)
Wir machen was mit echten Pferden.
Und echtes Blut muss spritzen!
Sich wälzende Nackte in schlammigen Erden.
Ja, das Blut bis zu den ersten Sitzen!

Von oben jetzt, die nackten Frauen,
mastubierend auf gelbem Hubschrauber,
Porn, wie die da von der Decke baumeln.
Geht das Stöhnen noch genauer?
(Iconic, jetzt schon!)

(Derweil in der Neuen Nationalgalerie)
Da gibt’s jetzt Tanz, Musik und Sundownerbar,
auf dem Boden wälzt sich ein Schwarzer in Ketten,
daneben türmen sich Menschen zur Knubbelschar,
und Brönner jazzt mit den Trumpetten.

Im Schinkelpavillon:
Windelinstallation.
(Boah! Alter! Meme!)
Edgy Kunstjünger mit Pispottschnitten,
Goldketten und schwarzen Demna-Lederkitteln.

Vor Sankt Agnes liegt ein Trauerkranz,
mit weißer Schleife im stillen Gedenken,
für den blinden Grapscherhans,
von wegen Dunkeltanz in Discotempeln.
(Repost Breitz: Der König wurde beim xx gesehen, Igitt!)

(Auf dem Dach des Schinkelpavillons, Dämmerung)
Opa Kluge mit ausdauernden Gedankenkaskaden,
Sprayer-Grosse theoretisch nuschelnd hinterher,
Biesenbach mit denglischen Gesellschaftsfragen,
danach weiß auch keiner mehr.

Liberty steht irgendwo.
Liberty, verstehste!
Nee, aber auch egal!
Doherty stiehlt allen sowieso die Show.
war ja klar.
(Nur schade um die Uferhallen, echt schade!)

Dazwischen PR- und Kritikerpersonal,
Vernissage, Finissage, Grill Royal –
Celebrity-Personalunion mit dem Kunstkapital.
und E.ON sponsert sehr loyal #GreenDeal.
(Na woll’n wir mal nicht so spießig sein…)

Ute Hamelmann

Ekel

Gedichte

Hypernervöse Hysterie,
Alles ist absolut.
Apokalypse, Weltuntergang.
Ekstase im Echtzeitreel.
Wir sagen “Yes“ zu allem.
Widersprüche aufgelöst.
Werte sind Buttercremtorte,
Ironisch gemeint, na klar.
Das Leben als Dauerevent,
Doppelmonks an Hedonismus-Orten,
mit recyclebaren Papptellern 
und Holzgabeln,
immerhin.
Weltekel? Weggekokst!
Will keiner mehr hören, die alten Lieder.
Kunst als Schmerz will auch keiner mehr.
Schmerz ist aus! Perdu! Von gestern!
Fragen Sie Ihren Arzt oder Dealer.

                               ~ Ute Hamelmann

Über die Kunst des Alles-Fragen-Könnens

Columns, Kolumnen

Man muss nicht erst in den Urwald fahren und sich von Kannibalen verspeisen lassen, um ein Abenteuer zu erleben, man kann auch einfach den Jahresrundgang der nächstgelegenen Kunstakademie besuchen. Das habe ich am Samstag getan. Documenta en miniature in Münster.

In der Eingangshalle begrüßen uns kleine, auf dem Boden stehende, phallisch geformte Holz-Figuren, die wie Stempel aussehen und ein Staubsauger auf einem Hochflorteppich. In der Ecke rechts von uns sitzt ein ziemlich großer Typ (Mann? Frau? Wirklich schwer zu sagen) im Punk-Outfit, mit gefärbtem Haar, schwarzem Shirt, kurzer Hose, Springerstiefeln, starrt uns mit weit aufgerissenen, schwarz umrandeten Augen an und wickelt sich in zuckend hektischen Bewegungen ein dünnes schwarzes Kabel um die Zunge. “Krass”, denke ich, “Kritik an der Digitalisierung vermutlich.” Weil der Typ mich andauernd so dermaßen irre und herausfordernd anstarrt, blicke ich verstört wieder weg und wieder hin und wieder weg und wieder hin, und immer, wenn ich zu ihm blicke, fixiert er mich wie verrückt, guckt sehr wütend und umwickelt noch energischer seine Zunge. Spooky. Wir schlendern in den nächsten Raum. Der Typ verfolgt uns, setzt sich jetzt in die Ecke dieses Raumes, glotzt uns wieder mit irre aufgerissenen Augen an und wickelt erneut aggressiv an seiner Zunge herum. Wir fühlen uns bedrängt und huschen schnell weiter, die Treppen hinauf, an getöpferten “identity”-Sprüchen vorbei und an diversen mit Steinen gefüllten Suppenkellen, die überall auf dem Boden herum stehen und über die die Besucher allenthalben stolpern, um sie dann, peinlich berührt, wieder aufrichten zu müssen.

Der schöne fünfzehnte sechste

Gedichte

Nein,
mein Leben ist nicht aufregend,
ich sitze morgens nicht in der Paris Bar,
ich trage keine Designerkleider,
und gehe nicht auf die Kunstgala.
Ich gebe auch keine Interviews,
und posiere nicht auf Theatertreppen.
ich habe keine berühmten Verwandten,
oder Freunde, die welche hätten.
Ich habe keinen künstlichen Nägel,
und keine Story auf Instagram,
Ich bin. Ich bin. Ich bin.
Nur da. 
Immerhin.
Na ja.