
Cartoon Christmas Gooses
Cartoons


(kmh Frankfurt, Herbst 2025)
Hinter großen Scheiben,
tischen Kellner kleine Speisen
mit Schäumchen drauf auf.
Sauerteigbrot, Sardinen, Burrata,
Ichiban Dashi mit gelber Beete,
Muscheln, Hummus und Handkäs Tatar,
Apfelkrapfen mit Chantilly Creme.
Weine defilieren flaschenweise
durch’s halbdunkle Stimmengewirr.
Silbergabeln kratzen leise
über rot-weißes Tudor-Porzellan.
Weiter hinten auf der Fensterbank
eine Chansonette begleitet von Tellergeklirr,
Pomerol Gläser stoßen an.
Pas de deux am Nebentisch
schlürft Bannow-Bay-Austern mit Bubbles
teilt sich’s Enten-Carpaccio und den Crudo Fisch.
An der Bar das Blumenbouquet
fixiert meinen Blick, bis über alles
sich eine schläfrige Tiefenunschärfe legt
und mein Hirn sanft entschwebt
in vollkommenste Homöostase –
zumindest bis zum Krapfen mit Sahne.
UH
„There is glory in irregularity, in something being vaguely misshapen.“ (UH)
„Art? I just counter the paradoxes of life.“
(Ute Hamelmann)
(English Version below)
Der Psychoanalytiker Carl Jung wird einmal gefragt, ob er an Gott glaube, daraufhin sagt er wie aus der Pistole geschossen: “I know. I don’t believe.” Jung verstand Gott als den zentralen Archetyp des kollektiven Unbewussten: „Deus est circulus cuius centrum est ubique, cuis circumferentia vero nusquam. [God is a circle whose center is everywhere, but whose circumference is nowhere]“.
Selbst Albert Einstein war kein Atheist, sondern Agnostiker und als solcher nicht sonderlich religiös, aber er glaubte an Spinozas Konzept von etwas Göttlichem in allem: Deus sive Natura. Gott sei eine jenseits der Vorstellung in allem enthaltene Substanz. Dieser Glaube an „Etwas“ beschreiben die Niederländer als Ietsismus. In diesem, von FAZ-Autor Jürgen Taube etwas amüsiert als „Etwasistentum“ bezeichneten Ietsismus, glaubt man also an etwas Unbestimmtes.
(English Version of this column ‚Comfortable Discomfort‘ soon below)
Wenn ich in Frankfurt bin, probiere ich gerne neue, exotische Sachen aus. In der Kleinmarkthalle bestellte ich mir gestern zum Beispiel die berühmte warme Fleischwurst der Metzgerei Schreiber mit Senf und Brötchen. „Unser Bestseller“, gluckste die ältere Dame mit Dauerwelle und Kittelschürze hinter der Theke, und klärte mich über den Gesundheitszustand der „alten Frau Schreiber auf. Weil: Sie sei ja nicht die alte Frau Schreiber! Weil: Die die alte Frau Schreiber könne das in ihrem Alter nicht mehr so gut…, aber nichts gegen die alte Frau Schreiber, eine prima Frau! Sie verstehen schon, was ich meine…“ Ich verstand die kleine schambehaftete Petzwurst hinter der Theke und verspeiste meine, nicht sonderlich anders als andere Fleischwürste schmeckende, Schreiber-Spezial-Fleischwurst mit einem Glas Weißwein (Sommercuvé 2024) beim Rollander auf der Markthallen-Terrasse.
(English Version below)
Taylor Swift staunte nicht schlecht über die Performance ihrer Freundin Kate Perry und Doechii bei den diesjährigen VMAs. Zur Erinnerung, das sind die guten alten MTV Video-Music-Awards, die es tatsächlich noch gibt, in Deutschland aber in der Bedeutungslosigkeit verschwunden sind. Man kann nicht einmal mehr die Videos der Webseite in Deutschland aufrufen. Neben einer gigantischen Show von „Mother Monster“ Lady Gaga und einem beeindruckenden Statement, was es für sie bedeutet, Künstlerin zu sein, kam schließlich die Performance von Perry und Doechii zu ihrem gemeinsamen Song: „I’m his, he’s mine“ und auch mir blieb die Spucke weg – holy moly!
(while the real weirdos rule the world)

(German Version below)
I wasn’t a big Lady Gaga fan. Her performances seemed too trendy, too flashy, and I was really put off by her plastic aesthetic—until I saw the movies House of Gucci and A Star Is Born. I thought she is amazing as an actress and started to get into her songs. Actually, for her artistic concept.
As an art historian, I’ve been wondering for quite some time where the new, the different, the ‚edgy‘ is. Where is avantgarde? Much of what catches my eye at art colleges has been there before, nice, ironic, and, well, okay. Performance rules: Half-naked, oiled-up humans are currently rolling around on the floor in the Schinkel Pavilion, while the Berlin art clique stands around bored, sipping Pinot Blanc. Oh, come on, folks, you’ve been seeing that in kinky clubs for years, and even I—living in a small village in the Westphalian countryside—have actually seen more outrageous and bizarre performances on queer and kinky stages.



Oil on Canvas
Portrait of a man with a broken Pikachu hat at Frankfurt Central Station.
I see a lot of misery when I’m in Frankfurt. The other day, a pretty woman in her forties, naked, with just a blanket around her shoulders, crouched on the pavement next to a kiosk on Berliner Straße, while humans drank their after-work beers next to her.
Or the man with the broken Pokemon Pikachu cap at the main railway station. I meet him there almost every morning.
There are bars in the Bahnhofsviertel district, like PLANK! They are very chique with many bankers and hipsters. You drink after-work negroni while next to you, homeless people and humans heavily marked by drugs rummage in the ashtray looking for fags – as if it were a trendy-asi backdrop for the bar visitors.
Who’s looking at whom?
Kunst ist nicht autonom, höchstens in der Abgrenzung zu anderen Funktionssytemen und auch hier nur bedingt. Kunst steht immer in einem sozialen Zusammenhang. Kunst erfüllt als Teilsystem der Gesellschaft eine Funktion. Kunst irritiert unsere Wahrnehmung. Moderne Kunst ist die Reflexionsebene der Gesellschaft. Sie ist Kybernetik zweiter Ordnung, weil sie uns als Rezipienten in die Beobachtung der Beobachtung zwingt. Kunst ist auf diese Weise ein permanenter Sidekick, die permanente Feedbackschleife, an der wir uns persönlich und als Gesellschaft lernend weiterentwickeln können – oder auch nicht. Das hängt davon ab, wie wir persönlich und als Gesellschaft Aspekte der Kunst selegieren und operationalisieren. Das wiederum ist das innovative Potenzial von Kunst.
Art is not autonomous if at all, in differentiation from other functional systems. Art is always part of a social context. Art confuses our perception. Art fulfils a function as a subsystem of society. Art is the level of reflection of society. It is second-order cybernetics, because it forces us as recipients into the observation of observation. In this way, art is a permanent Sidekick, a permanent feedback loop that we can use to learn and develop ourselves personally and as a society – or not. This depends on how we personally and as a society segregate and operationalise aspects of art. This, in turn, is the innovative potential of art.


Entropie eines Systems, L’entropie d’un systeme ein neues Theaterstück, was ich mir gerade imaginiere. Es ist ein großer Spaß sich Bühnenstücke auszudenken, denn ich schreibe unfassbar gerne schräge Dialoge! It’s all about communication, baby.
Fragen Sie sich nicht auch an manchen Tagen,
zum Beispiel samstags in der Schlange vor dem Wertstoffhof im Wagen,
was denn nun wirklich unsere Welt,
im Innersten zusammenhält?
Spinoza und Leibniz habe ich gelesen,
bin an den wundersamsten Orten gewesen,
noch vor ein paar Wochen als Touristin in Rom,
flanierte ich durch den Petersdom.
Habe fromm an mancher Reliquie gehangen,
an Katharinas Grab gestanden,
bin die Heilige Treppe hoch gekrochen.
habe auf jeder Stufe ein ‘Vater unser’ gesprochen.
(Ich bin nicht blöd, mir ist bewusst,
die ganze Welt ist ein Konstrukt.
Das System der Religion
ein Instrument der Repression.)
Ja, ja, so lächelt gütlich nun der Atheist,
denn ER sieht alles, wie es ist.
Hebt an, um freundlich darzulegen,
dass doch alles hier auf dem Planeten.
naturwissenschaftlichen Ursprungs sei,
Der Mensch, Chemie im Weltenbrei.
Ach, ruft da jemand, recht haben Sie!
Gott ist fürwahr ein Mathegenie!
(Mit einer Vorliebe für Harmonie.)
Professoren sind seinem Rätsel auf der Spur:
Indes, einen Bruchteil lösen sie nur.
Erforschen das All, Protonen, Neuronen.
den Urknall, Monaden, Quarks und Hadronen,
doch schier unendlich sind die Variationen,
des Unbekannten hinter ihren Konklusionen.
Und weil sich das Welträtsel niemals lösen lässt,
verhält es sich ähnlich mit dem Rest:
Gott ist die Leerstelle, Substanz, ein Zwischenraum,
das Unbekannte, Ambivalente, der wirre Traum.
Verdammte Scheiße! Das ist zu vage!
Hör ich der Atheisten Klage.
Sie wollen es lieber eindeutig regeln,
statt in Ambivalenz zu leben.
Für mich ergibt sich folgende Konstante:
Gott ist das große Unbekannte!
In diesem Zwischenraum, das lässt sich konstatieren,
mag Gott*in rosa Punschkrapfen schnabulieren.
im Schwarzen Kameel links hinter der Tür,
“Ich habe Sperrmüll und Papür!”
UH
So ist der Gedanke
schließlich und unausweichlich.
Weil ich dann liegen werde,
in dem Sarg,
auf dem Katafalk.
Und es werden Menschen da sein,
vielleicht.
Und ich werde alt sein,
vielleicht.
Und mein schönstes Hemd tragen,
vielleicht.
Jemand wird nette Worte sagen,
vielleicht.
Aber zuvor, sehr lange schon, bin ich
durch manchen Abschied gegangen.
Weil ja ab irgendwann
alles ein Abschied ist.
UH
***
That’s how the thought is,
ultimately and inevitably.
Because then I will be lying there,
in the coffin,
on the catafalque.
And there will be people there,
perhaps.
And I will be old,
perhaps.
And wearing my finest shirt,
Someone will say kind words,
perhaps.
But before that, for a very long time, I have
gone through many farewells.
Because at some point,
everything is a farewell.
UH
english version below
Eines meiner Lieblingsbücher ist “Der Sandman” von E.T.A. Hoffmann. Ich las es als Schullektüre und es verschlang mich regelrecht: Schwarze Romantik, Mensch versus Maschine-Thematik, Wahnsinn, Erotik, Tod – faszinierend!
Ein paar Jahre später schmökerte ich in Sigmund Freuds Werk herum. Er schien gleichermaßen elektrisiert von dem hoffmannschen Werk, so dass er ihm in seiner Abhandlung “Das Unheimliche” ein paar Seiten widmete. Doch was musste ich dort lesen? Praktisch alles im Sandmann drehe sich ausschließlich um Kastrationsangst. Siggi du alte Säge, dachte ich grimmig, welch impertinente Vereinfachung! Nicht alles im Leben hat Kastrationsangst oder Penisneid als ultima ratio. Faust: Kastrationsangst, Effi Briest: Penisneid, Hamlet: Kastrationsangst, Madame Bovary: Penisneid – oder wie jetzt? Das ist doch unterkomplex!
What is the “Salon des Imposteurs”? A club? An association? A secret society? An art action? A group of artists? A bit of everything. Above all, a lot of disruptive creative anarchy and a lot of Niklas Luhmann. Our series “Salon des Imposteurs X Niklas Luhmann” marks the beginning:
